Gyrodactylus - Todfeind des Lachses in Norwegen

Natürlich interessieren wir uns nicht nur für die erfolgreiche Fischwaid, sondern auch für jegliche Hintergrundinformationen über unsere silbernen Kameraden. Nur wer sein Gegenüber genau kennt, der kann sich auf ihn einstellen.
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Bernd Ziesche
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Gyrodactylus - Todfeind des Lachses in Norwegen

Beitrag von Bernd Ziesche »

Hallo Euch allen. :wink:

Vor 2 Wochen unterhielt ich mich mit einem norwegischen Biologen, der seit Jahren tagtäglich an dem Problem Gyrodactylus Salaris arbeitet.

Hier einige meiner Gesprächsnotizen:

1. Der Fischparasit Gyrodactylus Salaris ist nur im Süßwasser, nicht aber im Salzwasser überlebensfähig.

2. Deshalb findet man ihn auf den Lachsen in den Ostseezuflüssen zumeist sehr stark vertreten an. Hier kann er sich vielfach basierend auf dem sehr geringen Salzgehalt erheblich besser von Lachs zu Lachs und von Flusssystem zu Flusssystem übertragen.

3. Derzeit wird entweder mit dem Wurzelgift „Retenon“ oder einer Aluminium-basierten chemischen Verbindung gegen den Parasiten vorgegangen.

4. Retenon wirkt absolut tödlich für jegliches Leben im Fluß. Der Vorteil: Es wäscht sich in wenigen Tagen wieder aus dem Flusssystem raus! Die Insektenwelt explodiert danach oft förmlich, weil keine Junglachse etc. vorhanden sind. Danach wachsen erneut eingesetzte Lachse erheblich schneller als je zuvor, weil mehr Insekten als je zuvor vorhanden sind.

5. Die Aluminium-basierte Verbindung ist bei optimaler Dosierung nicht gänzlich tödlich. Allerdings baut sich diese Verbindung nicht so schnell ab und bleibt etwas länger im System vorhanden. Ist die Dosis geringfügig zu hoch, stirbt ebenfalls alles Leben ab.

6. Eine Behandlung mit Retenon hat NICHT das Primärziel, das betroffene Flusssystem vom Gyrodactylus zu befreien, als vielmehr die Ausbreitungswahrscheinlichkeit auf andere Flusssysteme zu redzieren!

7. Das große Problem besteht darin, dass die meisten Flusssysteme vielfach kleine Zuläufe haben, in denen sich die kleinen Lachse gut verstecken. Eine Behandlung ist nur dann vollends wirksam, wenn das gesamte Flusssystem in ausreichender Konzentration behandelt wird. Und dies muss nahezu zeitgleich passieren.

8. Die Driva ist z.B. ein erheblich zu großes Flusssystem. Hier wird man eine Barriere im Unterlauf bauen, welche alle Lachse früher oder später passieren müssen. Kosten Mehrere Millionen pro Jahr bei einer Laufzeit von mind. 7 Jahren!

9. Die Meerforelle ist beständig gegen den Gyrodactylus-Parasiten.

10. Bei den Ostseelachsen hat sich über die Jahrhunderte eine Resistenz gebildet. In Norwegen erschweren die Vermischung mit Meerforellen (Hybridbildung) und mit Farmlachsen jegliches Unterstützen dieser Resistenzbildung erheblich. Hier tut man sich sehr schwer, weil alle Vermischungen mögliche Auswertungen bei einem gezielten Eingreifen fast unmöglich werden lassen.

11. Flüsse, die nach einer Behandlung als geheilt galten, wurden mehrfach nachträglich als nur vorübergehend reduziert (in Bezug auf Gyrodactylusbefall) eingestuft. Der Parasit hatte irgendwo doch überlebt und sich erneut verbreitet.

12. Was können wir Angler tun? Unsere Klamotten durchtrocknen, bevor wir den Fluss wechseln. Dies ist die beste Art den Gyrodactylus auf den Klamotten auszurotten.

13. Zusätzlich desinfizieren kann nie schaden.

Diese – wie ich finde, sehr interessanten Punkte wollte ich gerne mit Euch teilen.

Erschreckend: Meeresläuse, Umweltkatastrophen, Lachsfarmen, begünstigte Hybridbildung durch von sehr wahrscheinlich uns verursachte klimatische Wandlungen, wir Angler, die Fischer und all die natürlichen Feinde = 70% Rückgang des Atlantiklachsbestandes weltweit. :cry: :cry: :cry:

Beste Grüße
Bernd

p.s Ich selbst kann keinen Atlantiklachs mehr "einfach entnehmen", welcher sauber gehakt ist, und wo die Landung in einem aus meiner Sicht zeitlich akzeptablen Rahmen stattfand. Werde mich zukünftig ganz verstärkt dem Catch & Release in diesem Bereich widmen. Wenn ich mir den Prozentsatz ansehe, den wir Angler aus dem Aufstieg heraus reduzieren, so stimmt mich das deutlich nachdenklich. :roll:
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FoolishFarmer
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Beitrag von FoolishFarmer »

Hi Bernd,

nur der Richtigkeit halber (falls jemand googlen will) - auf deutsch heißt das Pestizid Rotenon. Retenon ist die englische Schreibweise.

In Nordamerika ist es seit Jahrzehnten Usus mit Rotenon ganze (aquatische) Ökosysteme auszuräumen - u.a. auch um mit unerwünschten Fischarten "befallene" Gewässer für Salmoniden gewissermaßen zu "säubern".





Ich persönlich halte von Rotenon absolut gar nichts! Es kann nicht der Weg sein, wegen eines einzelnen, unerwünschten Organismus ein ganzes Ökosystem zu opfern. So sehr ich Salmo salar mag, aber es gibt einfach auch noch andere Lebewesen. Meiner Ansicht nach ist die "Lachs-Brille" bei solchen Projekten einfach entschieden zu dick! Den auch wenn Rotenon in nur wenigen Tagen aus dem Fließgewässer ausgespült ist - im Gegensatz zu Gyrodactylus salaris macht das Salzwasser dem Rotenon nichts aus. Und auch die Ausrede mit der Verdünnung lasse ich hier nicht gelten; denn der Schwellenwert für die Giftigkeit eines Stoffes ist durch den menschlichen Organismus definiert. Nur weil es auf ein für den Menschen unbedenkliches Mass reduziert ist, heißt das nicht automatisch, dass von dem Stoff keine Gefahr mehr für andere Lebewesen (z.B. marine Kleinorganismen) ausgeht.

Was für den Schutz des Lachses tun? - Na klar! Mach ich selbst an vorderster Front.
Aber nur um eine Spezies zu retten, ein ganzes Ökosystem vernichten kann einfach nicht richtig sein. :q: Sorry, dafür bin ich zu sehr Ökologe als Naturschützer. :c
Gruß Paddy
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Schweißsocke
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Beitrag von Schweißsocke »

FoolishFarmer hat geschrieben: Ich persönlich halte von Rotenon absolut gar nichts! Es kann nicht der Weg sein, wegen eines einzelnen, unerwünschten Organismus ein ganzes Ökosystem zu opfern.
Ich sehe das durchaus ähnlich, zumal die bisherigen Ergebnisse ja auch zeigen, dass es kaum möglich ist, den Parasiten komplett auszurotten. In irgendeinem Winkel überleben die immer.

Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Fakt, dass die Lachsbestände in Norwegen teilweise dramatisch zurückgegangen sind. So stiegen 1980 noch in 1288 norwegischen Flüssen Lachse zum Laichen auf, im Jahr 2000 waren es nur noch 667. Daran mag die Schwächung des Genpools der Wildlachsbestände durch Vermischung mit ausgebüxten Farmlachsen einen Anteil haben, sicherlich die durch die Bewirtschaftung der Fjorde bedingte hohe Parasitenbelastung, intensive Befischung etc.

Die Ursachen sind offensichtlich multikausal und wir Angler tragen unseren Teil dazu bei. Direkt durch Entnahme von aufsteigenden Fischen und indirekt durch Verbreitung von Gyrodactilus noch in den letzten Winkel.

Das es auch anders geht, zeigen die Beispiele in Nordschweden, wo eine ganze Reihe von Maßnahmen die Bestände stabilisiert haben. Dazu gehören Einschränkungen des Lachsfanges im Meer, der Bau von Umgehungen von Wanderhindernissen, aber auch Fangbeschränkungen für Angler. So gilt zum Beispiel im Ängesån im August ein komplettes Entnahmeverbot für Lachse.

Bernds Anregung eines verstärkten Catch & Release ist hier sicherlich ein Weg in die richtige Richtung, denn wegen des starken Befischungsdruckes ist der prozentuale Anteil der von Anglern entnommenen Fische am Gesamtaufstieg in vielen Gewässersystemen inzwischen viel zu hoch. Es erscheint heuchlerisch, auf der einen Seite eine Beschränkung des Dorschfanges in der Ostsee zu fordern, aber auf der anderen Seite jeden gefangenen Lachs totzuknüppeln. In Schweden ist übrigens bei den Anglern der von Bernd angeregte Mentalitätswechsel schon lange zu beobachten, immer mehr Angler setzen die gefangenen Fische zurück, ohne dass dieses durch Vorschriften erzwungen wird.

Das Überleben der Lachse hängt auch von der genetischen Vielfalt der Population ab, sind die Fische in einem Gewässersystem erst einmal ausgestorben, so ist auch die an den jeweiligen Fluss angepasste Genausstattung für immer verschwunden. So mag der Einsatz von Rotenon unter diesem Aspekt durchaus seine Berechtigung haben.
Gruß Arne

There's a fine line between fishing and just standing on the shore like an idiot. ~Steven Wright
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Alex
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Beitrag von Alex »

Ich habe vor längerer Zeit mal einen Bericht zu diesem Thema Retenon im Fernsehen bestaunt. Ich konnte es gar nicht fassen, dass dort das Leben im Fluss mal eben temporär ausgerottet wird, um diese Parasiten zu bekämpfen. Voher hatte ich dann und wann mal davon gehört, aber eher Mund zu Mund Propaganda. Wenn man einen Filmbericht darüber sieht, wird einem überhaupt das Ausmaß erst klar.

Dass man die Parasiten ggf. mit den nassen Watklamotten von Fluss(system) zu Fluss(system) schleppen kann, ist mir gänzlich neu. :o

Eine sehr interessante Information! :!:
Gruß & Petri ALEX

Diejenigen, die gerade darüber jammern,
dass nichts beißt, mögen dies bitte leise tun,
um nicht diejenigen zu stören, die gerade fangen.
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BlackZulu
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Beitrag von BlackZulu »

Alex hat geschrieben:
Dass man die Parasiten ggf. mit den nassen Watklamotten von Fluss(system) zu Fluss(system) schleppen kann, ist mir gänzlich neu. :o
nicht nur damit, auch mit Schlauchbooten, Kajak's usw.
Aber da wird wohl nicht sooo drauf geachtet.
Hab mal gehört das der Gyrodactylus durch entsprechende Sportboote in die Driva eingeschleppt wurde.


Gruß BlackZulu
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Fazer
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Beitrag von Fazer »

Alex hat geschrieben: Dass man die Parasiten ggf. mit den nassen Watklamotten von Fluss(system) zu Fluss(system) schleppen kann, ist mir gänzlich neu. :o

Eine sehr interessante Information! :!:
Um so eine Verschleppung von Parasiten zu verhindern sind ja auch z.B. in Neuseeland Watschuhe mit Filzsohlen verboten. Ähnliches gilt in Schweden. Wenn dort in einem See die Krebspest herrscht musst mann beim Verlegen eines Bootes aus so einem See in einen anderen ´ne Desinfektion der Bootsaussenhaut vornehmen.
Gruß
Nico

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Heiländer
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Beitrag von Heiländer »

Fazer hat geschrieben:in Neuseeland Watschuhe mit Filzsohlen verboten
Soll in Norge ja auch verboten werden. Die meisten Hersteller reagieren ja schon darauf und bringe fast nur noch Watschuhe ohne Filz auf den Markt.
TL Christopher
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Fliegenjeck
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Beitrag von Fliegenjeck »

Hallöchen Allersiets,
hatte letztes Jahr in Norwegen damit zu tun.Isfjorden Camping,ich denke es war die Glutra die dort in den Fjord mündet und an dieser Stelle ging eine kleine Brücke drüber.Nachdem wir dort vier Tage ausgeharrt hatten ( wir=meine Familie und ich)um Meefoos zu fischen,kamen am letzten Morgen tatsächlich vier meefoos ,von der Brücke ,im kristallklaren Wasser zu sehen, zum Aufstieg.Also nix wie zurück zum Cmpingplatz und Karte holen.Tageskarte für 24 Std. kostete 35 oder 40 €, vom Preis her,für mich die Obergrenze,kamen aber noch ca 80 € für die Desinfektion hinzu!Bei allem Verständnis,aber das war mir dann doch zuviel.ca 120€ um 24 Std zu fischen,nein Danke....Desinfektion ja, aber bei dem Preis,dann lieber aufs Fischen verzichten....Habe dann später in einer Stadt in einer Apotheke nachgefragt was dieses Zeug zum desinfizieren kostet,da zeigten die mir einen 5 Liter Kanister für ca 25€!!!!Und desinfiziert werden muß alles was mit Wasser in Berührung kommt.....Fünfzig € weniger und die hätten einen Kunden gehabt,aber so....
Da ist das Schwein im Preis inbegriffen....einfach nur Abzocke...
MfG Nobby...
Ich bin ein (H)optimist. Diese glauben, das durch ein homebrew sich alles verbessert... :+grin:
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Bernd Ziesche
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Beitrag von Bernd Ziesche »

Hallo Alex :wink:

Da der Gyrodactylus S. Parasit im Salzwasser nicht überlebensfähig ist, ist das Übertragen des Parasiten über den Land(Luft-)weg von erheblich größerer Bedeutung. Hier gibt es reichlich Übertragungsmöglichkeiten. Im feuchten Medium überlebt der Parasit eine gute Weile.
Trocken gelegt stirbt er sehr zügig.
Wir Angler sind hier als Übertragungswirt nicht zu unterschätzen!
Und, ja - Simms hat die Gummisohlen nicht grundlos entwickelt!

In Norwegen hat bezüglich der Akzeptanz von C&R eine (für mich) unglaubliche Wandlung eingesetzt.
Noch vor 5 Jahren wurde man oft schief angeschaut, wenn man einen Lachs zurück setzte, und heute gewinnt man mit einem entsprechenden Foto (mit etwas Glück) bereits Saisonkarten für Topflüsse!
Und "mit etwas Glück" steht hier nicht für quantitativ mangelnde Preise, sondern für die hohe Beteiligung (gerade seitens der Skandinavier).

Ob nun Rotenon (Danke ;) ) hier der beste Weg ist, den Lachs zu schützen, vermag ich nicht ansatzweise zu beurteilen. Aber die Vorstellung der Atlantiklachs könnte Norwegen für immer verlassen, ist mehr als erschreckend.
Alle Fische sind wichtig. Doch irgendwie ist der Lachs der König der Fische 8). Und, solange die anderen Fische keinen derartigen Rückgang zu verzeichnen haben und man keine bessere Lösung hat, kann ich die Entscheidung pro Einsatz von Rotenon oder jener Al-Alternative nachvollziehen.

Ich gebe gerne zu, dass ich nicht an der Mündung stehen möchte, nachdem mit Rotenon behandelt wurde. :cry: :cry: :cry:
Das dürfte noch viel nachhaltiger als jeder konkrete Fernsehbericht wirken...

Übrigens hatte Ulf Sill mir berichtet, dass der Hybridbestand an der Mörrum rapide zugenommen habe (ca. 10% und größer), weil Lachs und Meerforelle zeitlich betrachtet immer dichter zueinander laichen.
Dies führte Ulf auf gesamtklimatische Ursachen zurück.
Jener Biologe in Norwegen hatte unabhängig dessen die gleiche Beobachtung in der Driva festgestellt. Zeigt, dass wir oft Einflußgrößen haben, die nicht nur für einen Fluss, sondern auf viele Flüsse Auswirkungen mit sich bringen. An Zufälle glaube ich hier zumindest nicht.
Die zunehmende Hybridbildung ist sehr kritisch, weil man unbedingt reines Genmaterial benötigt.
Im Falle der Driva wird jeder Stammlachs (wird vor der Behandlung mit Rotenon für den späteren neuen Besatz entnommen) gründlich untersucht. Die Kosten hierfür sind pro Fisch immens hoch und nicht unproblematisch!

Gruß
Bernd
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