Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Natürlich interessieren wir uns nicht nur für die erfolgreiche Fischwaid, sondern auch für jegliche Hintergrundinformationen über unsere silbernen Kameraden. Nur wer sein Gegenüber genau kennt, der kann sich auf ihn einstellen.
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SIMPLE SHRIMP
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Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von SIMPLE SHRIMP »

.
Hallo Meerforellenfischer,

angeregt durch diese Überspringer Diskussion hatte ich mich mit der Bitte um Aufklärung an das Institut für Fischerei (Landesforschungsanstalt MV) gewandt. Von dort wurde ich freundlicherweise an das Institut für Ostseefischerei (Thünen-Institut) verwiesen. Simon Weltersbach, der das Projekt "Mehrforellen" betreut, schrieb dazu Nachstehendes:

Sehr geehrter Herr Schröder,

Ihre Anfrage an Herrn Zimmermann wurde an mich weitergeleitet, da ich mich
in unserem Haus mit der Meerforelle beschäftige.
Die Frage ist tatsächlich gar nicht einfach zu beantworten und auch in der
Wissenschaft gibt es noch Unklarheit bzw. nur relativ wenige Erkenntnisse
zum Phänomen „Überspringer“.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die das Phänomen erklären könnten:

1. Der Zeitpunkt des Erstlaichens ist relativ variabel. Dadurch gibt es
Meerforellen, die bereits nach einem Seewinter aufsteigen und laichen (im
Herbst), andere Fische bleiben dagegen zunächst 2 oder sogar 3 Jahre im
Meer und laichen dann erst zum ersten Mal. Deshalb kann man natürlich
entsprechend große, ungefärbte und gut konditionierte Fische während der
Laichzeit im Meer fangen. Diese Fische sind aber keine „Überspringer“,
sondern nehmen noch nicht am Laichgeschäft teil, könnten aber von Anglern
als solche interpretiert werden.

2. Es gibt tatsächlich Meerforellen, die wahrscheinlich schon einmal
gelaicht haben (man erkennt zumindest bei der Schuppenlesung einen
Süßwasseraufenthalt nach der ersten Phase im Meer) und im nächsten Jahr
nicht am Laichgeschäft teilgenommen haben (wieder erkennbar an der
Ringstruktur der Schuppen). Dieses Phänomen wurde schon in verschiedenen
europäischen Gewässern beschrieben. Beispielsweise wurde in den 1930er
Jahren von einigen Beständen der Tweed (England/Schottland) berichtet,
dass sie nicht jedes Jahr laichen. Damals wurde das Phänomen mit den sehr
weiten Wanderungsbewegungen dieser Bestände in Verbindung gebracht.
Ähnliches wurde für Individuen der Bestände im Schwarzen Meer beobachtet,
die scheinbar nur jedes zweite Jahr laichen, da aufgrund der klimatischen
Bedingungen ein Aufstieg nur im Frühjahr möglich ist.
Die Regenerationszeit ist dann aber seit dem letzten Laichen im Herbst zu
kurz. In der Ostsee sind solche Effekte bei der Schuppenlesung auch
erkennbar, aber der Anteil an der Gesamtpopulation ist gering. Die
Ursachen können noch vielfältiger sein, z.B. eine zu schlechte Kondition
zu Beginn der Laichzeit, sehr lange Wanderungen. Gleichzeitig beruht die
Annahme, dass die Fische schon mal gelaicht haben, einzig auf der bei der
Schuppenlesung erkennbaren Ringstruktur, die eine Phase mit geringerem
Wachstum im Süßwasser anzeigt. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass der
Fisch überhaupt gelaicht hat. Er kann auch einfach nur im Süßwasser
überwintert haben (osmoregulatorische Vorteile). Hierdurch lässt sich die
eigentlich Überspringertheorie kaum überprüfen.

3. Die Theorie, dass es sich bei den „Überspringern“ um unfruchtbare
Fische handelt, ist sehr unwahrscheinlich, da der Anteil unfruchtbarer
Fische in einer Population normalerweise sehr gering ist.

Letztlich lässt sich das Phänomen also nur durch eine Kombination aller
drei genannten Möglichkeiten erklären, wobei es sich hauptsächlich um
Fische handeln wird, die einfach erst nach zwei oder drei Seewintern mit
dem Laichen beginnen und fälschlicherweise als „Überspringer“ bezeichnet
werden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Erklärung weiterhelfen und stehe
Ihnen für weitere Rückfragen gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Simon Weltersbach


Im Zuge seiner Untersuchungen ist Simon Weltersbach auf weitere Mithilfe / Unterstützung durch Angler angewiesen, er schreibt:

Gerne können Sie die Antwort in dem Forum veröffentlichen. Das unter dem
Institutslink verlinkte Projekt sollte Vielen dort auch bereits bekannt
sein, da es bereits zu Beginn des Projektes dort veröffentlicht wurde und
einige Mitglieder selber an der Studie teilgenommen haben. Mittlerweile
ist die Datenerhebung aber abgeschlossen und ich beginne bald mit der
Auswertung. Momentan wird allerdings unsere gesamte Homepage neugestaltet,
wodurch viele Inhalte noch fehlen. Ich bitte daher um Nachsicht.

Vielleicht kann ich Sie bei der Gelegenheit um einen Gefallen bitten.

Ich benötige zur Zeit für eine genetische Untersuchung noch Gewebeproben
(ein kleines Stück Schwanzflosse) von Meerforellen, die in der Ostsee im
Bereich zwischen Brodtener Ufer (bei Lübeck) und Rostock gefangen wurden.
Vielleicht ist ja im Forum jemand vertreten, der in diesem Bereich viel
fischt und auch entsprechend viel fängt und mir in den nächsten Wochen
einige Proben beschaffen könnte. Näheres würde ich dann mit der
entsprechenden Person absprechen, die sich gerne per E-Mail
(simon.weltersbach@ti.bund.de) an mich wenden kann.


Es wäre sehr freundlich, wenn Sie mein Gesuch mit veröffentlichen würden.

Mit freundlichen Grüßen
Simon Weltersbach


Also gebt Euch Mühe, noch einige Mefos zu erwischen, um das Projekt zu unterstützen.

TL
Klaus
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Polar-Magnus
Eigentlich war ich's nicht...
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Re: Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von Polar-Magnus »

Moin Klaus,

deckt sich ja mit den Daten, die ich kürzlich in einem andere Thread gepostet hatte.
Ich verlinke einfach mal :arrow: Klick

Gruß

Ingo :wink:
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Du bestimmst das Ziel, du bestimmst den Weg und du bestimmst die Regeln. Es ist dein Spiel, dein Leben.
Zitat von gonefishing aus seinem sagenhaften Patagonien Reisebericht.
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Re: Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von ostseelicht »

Sehr interessant, :+++:
bin sehr gespannt, was für Ergebnisse aus der Studie folgen.

TL

werner
Glück kann man nicht kaufen, aber man kann drin waten.
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IdEfIx
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Re: Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von IdEfIx »

Das Thema Überspringer ist natürlich hoch interessant; das sich das Laichverhalten anhand der Schuppen ablesen läßt auch, was ich bisher noch nicht wusste, man lernt nie aus. Aber vielleicht ist es auch nur eine Einrichtung der Natur die wir nur vermuten können, die Art zuerhalten.

Dazu fällt mir auch ein Beispiel ein, das sich vor einige Jahren an einem kleinem Fließgewässer auf Bornholm abspielte, wo ich grad eine gute Woche Angelurlaub machte. Die MeFos hatten abgelaicht (typische Keltform) aber der Wasserstand war einfach zu niedrig, vielleicht durchschnittlich 10cm und die letzten ca. 50m zur Einmündung ins Meer total trocken. Der ansässige Angelverein rief zu einer Notaktion auf wo ich mich gern freiwillig beteiligte, alle MeFo (ca. 150 Stk.) wurden mit großen Keschern einsammelt und umgehend ins Meer gesetzt. Wie ich später erfuhr hat sich der Wasserlauf im Laufe des Frühjahrs faßt normalisiert und im Sommer, aufgrund der sehr geringen Niederschlagsmengen, total trocken gelegt worden, ob die Brut diese Trockenheit überlebt hat, kann ich nicht sagen, weil ich es nicht weiterverfolgt habe.

Nehmen wir mal an, der Mensch hätte hier nicht geholfen und die Kelts sowie die Nachkommenschaft der Trockenperiode nicht überlebt, so wäre hier komplett ein ganzer MeFo-Stamm ausgestorben. Die nun im Meer verbliebenen MeFos, nennen wir sie mal Überspringer würden dann die Art erhalten, weil sie dann die darauffolgende Saison zum laichen aufsteigen und somit den Fortbestand der Art erhalten. Das wäre so meine Theorie zu dem Thema, ähnlich wäre es, wenn z.B. Gülle in einen Flußlauf läuft und den gesamten Bestand an Fischen somit dezimiert wird. ;)
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Ace
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Re: Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von Ace »

Sehr interessant !!! Vielen Dank für die Informationen ... :+++:
TL Mathias
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salmo
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Re: Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von salmo »

Super Klaus

Danke für den Bericht :+++: Sehr interessant .

Grüße
knæk og bræk
hilsen Markus
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zuchtaal
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Re: Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von zuchtaal »

Moin IdEfIx

Schönes Beispiel! Und den Vorschlag zur Erklärung finde ich auch super! So erkläre ich es auch immer...
IdEfIx hat geschrieben:Das Thema Überspringer ist natürlich hoch interessant; das sich das Laichverhalten anhand der Schuppen ablesen läßt auch, was ich bisher noch nicht wusste, man lernt nie aus. Aber vielleicht ist es auch nur eine Einrichtung der Natur die wir nur vermuten können, die Art zuerhalten.
[...]
Nehmen wir mal an, der Mensch hätte hier nicht geholfen und die Kelts sowie die Nachkommenschaft der Trockenperiode nicht überlebt, so wäre hier komplett ein ganzer MeFo-Stamm ausgestorben. Die nun im Meer verbliebenen MeFos, nennen wir sie mal Überspringer würden dann die Art erhalten, weil sie dann die darauffolgende Saison zum laichen aufsteigen und somit den Fortbestand der Art erhalten. Das wäre so meine Theorie zu dem Thema, ähnlich wäre es, wenn z.B. Gülle in einen Flußlauf läuft und den gesamten Bestand an Fischen somit dezimiert wird. ;)
Eine Katastrophe im Laichgewässer muss nicht immer vom Menschen gemachte Ursachen haben. Das Phänomen Überspringer ist ja auch viel älter als Menschen auf das Habitat wirken können. Ich glaube, Mutter Natur regelt die Dinge sehr viel intelligenter, als wir als Menschheit zu sein glauben. Zum Glück!


Viele Grüße,
Ilja
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greatwhitebuffalo
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Re: Meerforellen > Phänomen "Überspringer"

Beitrag von greatwhitebuffalo »

SIMPLE SHRIMP hat geschrieben:.


Sehr geehrter Herr Schröder,

Ihre Anfrage an Herrn Zimmermann wurde an mich weitergeleitet, da ich mich
in unserem Haus mit der Meerforelle beschäftige.
Die Frage ist tatsächlich gar nicht einfach zu beantworten und auch in der
Wissenschaft gibt es noch Unklarheit bzw. nur relativ wenige Erkenntnisse
zum Phänomen „Überspringer“.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die das Phänomen erklären könnten:

Moin,

M.E. ist es auch eine von der Natur eingerichete "stille Reserve", dass nicht alle Fische eines Stammes
aufsteigen.
Falls durch Naturkatastrophen die aufgestiegenen sterben, bleibt ein gewisser Prozentsatz des Genetischen Stammes am leben und kann dann das Überleben sichern.

@idefix: ist ja fast das Gleiche was Du geschrieben hast.....; habe leider jetzt erst gelesen :wink:
Gruß greatwhitebuffalo

Lieber 'ne Trutte die an der Fliege leckt, als umsonst geweckt...
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