Störzucht in der Wüste...

Natürlich interessieren wir uns nicht nur für die erfolgreiche Fischwaid, sondern auch für jegliche Hintergrundinformationen über unsere silbernen Kameraden. Nur wer sein Gegenüber genau kennt, der kann sich auf ihn einstellen.
Antworten
Benutzeravatar
FoolishFarmer
... mag Fisch!
...
Beiträge: 739
Registriert: 21.02.2009, 17:29
Wohnort: Weilerswist
Kontaktdaten:

Störzucht in der Wüste...

Beitrag von FoolishFarmer »

Mal was ganz anderes... :oops

Der ein oder andere hat es ja inzwischen vielleicht schon mitbekommen (?), allen anderen möchte ich dann an dieser Stelle nochmal meinen neuen Job vorstellen:
ich arbeite nun seit letztem Jahr für ein dänisches Unternehmen (Billund Aquakulturservice A/S) und beaufsichtige in meiner Tätigkeit als Ingenieur weltweit große Fischzuchtprojekte. Wir sind seit 25 Jahren der Weltmarktführer im Bereich sogenannter Kreislauf-Anlagen (Recirculation Aquaculture Systems = RAS), d.h. unsere Farmen sind ausschließlich landbased, ohne Verbindung zu offenen Gewässern und dank gigantischer Filtersysteme in der Lage bis zu 98 % des Wassers zu recyclen. Dadurch können wir auch an Standorten produzieren, die nicht über größere Frischwasser-Vorkommen verfügen. Neben Lachsen liegt der Schwerpunkt bei uns auf der Stör- bzw. Kaviarproduktion. Darüberhinaus haben wir insgesamt schon für 27 verschiedene Spezies Kreislaufanlagen errichtet.

Warum ich von der unabhängigen Gewässerökologie in die Industrie gewechselt bin, ist daher auch schnell erklärt:
Wir sind die Zukunft! Vollständig geschlossene Systeme, die an quasi jedem Standort der Welt (d.h. nah beim Verbraucher) gebaut werden können. Keine Netzkäfige, keine unkontrollierte Verschmutzung, keine Krankheitsausbrüche, keine Antibiotika (durch klinische Sterilität in den Anlagen). Natürlich bleibt es unterm Strich immer noch Massentierhaltung - aber zu den bestmöglichen Bedingungen, auch aus meinen kritischen Augen. Leider ist die Produktion aber auch ein wenig kostenintensiver, weshalb sich die RAS erst nach und nach durchsetzen werden. Netcage war gestern, die Zukunft heißt RAS! 8)


Ab Mitte Oktober werde ich für ca. 12 Monate den Bau einer Kaviarproduktionsanlage für knapp 30 Mio. $ in der Wüste Turkmenistans koordinieren.
Aber wie gewohnt erzähle ich ich nicht nur, sondern hab natürlich auch immer ein paar Bilder bereit. :grin: Diesmal in Form eines Videos (ja, wenn ich mehr Zeit habe, produziere ich auch Bewegt-Bilder) der Anlage aus Moldawien, die seit 2006 in Betrieb ist - die derzeit größte Kreislauf-Störzucht der Welt:

https://vimeo.com/76414955 (Passwort: aquatir)
Dateianhänge
Aquatir_052013_011.JPG
Aquatir_052013_005.JPG
Aquatir_052013_016.JPG
Gruß Paddy
Benutzeravatar
adasen
Von einem, der auszog...
...
Beiträge: 2043
Registriert: 02.11.2005, 13:56
Wohnort: Kleinwaabs

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von adasen »

Moin Paddy,
das ist natürlich Technik die begeistert! Was mich allerdings interessiert, wie verhält es sich mit der Fütterung? Gibt es da mittlerweile auch bahnbrechende Lösungen oder wird nach wie vor die "Gammelfischerei" betrieben, um aus dem Wildfisch Futterpellets für die Fütterung der Mastfische zu pressen? :q:
Gruß
André

Ein Leben ohne Hund ist möglich...., aber sinnlos! (Frei nach Loriot)
Benutzeravatar
FoolishFarmer
... mag Fisch!
...
Beiträge: 739
Registriert: 21.02.2009, 17:29
Wohnort: Weilerswist
Kontaktdaten:

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von FoolishFarmer »

Ja, ein schwieriges Thema. Aber Entwicklungen gibt es da tatsächlich...
Zum einen wird von den namhaften Herstellern eigentlich schon seit Jahren der Fischmehlanteil kontinuierlich reduziert, schlicht weg aus Kostengründen. Modernes Fischfutter enthält, oder besser enthielt bis letzten Sommer daher eh schon nur noch so zwischen 14 und bis zu 22 Prozent Fischmehl (je nach Spezies und Altersklasse) - der Rest ist überwiegend pflanzliches Eiweiß. Zum anderen sind die Produktionsmöglichkeiten in solchen geschlossenen, kontrollierten Systemen natürlich ungleich besser als in Offenhaltung (Meer oder Teich) und ermöglichen Futterquotienten von unter 0,9!!! :o

Und dann gibt es gleich zwei gravierende Änderungen seit letztem Sommer:
1. Die EU-Beifangregelung (hier ja ausgiebig diskutiert), die nun dazu führt das wieder wesentlich mehr Fischmehl produziert wird. So soll ja auch (oder ist schon?) u.a. die alte Fischmehlfabrik an der Westküste Dänemarks wiedereröffnet werden. D.h. das Fischmehl bzw. der Fisch dafür kommt nicht mehr aus gezielten Kampagnen.
2. Seit Juni diesen Jahres hat die EU auch wieder Tiermehl von Schwein und Geflügel für Fischfutter zugelassen. Dieses ist nicht nur wesentlich billiger als Fischmehl, sondern auch noch energiereicher. D.h. es gibt ein "besseres" Endprodukt zu einem drastisch reduzierten Preis: Mit Tier- statt Fischmehl wird das Futter an den Endverbraucher über 30 Prozent (!) günstiger abgegeben.

Das sind jetzt mal wertneutrale Beobachtungen für den europäischen Raum. In Chile, wo sich ein Hauptteil des weltweiten Lachsgeschäfts abspielt, gelten da natürlich noch andere Regeln. Und ob ich das mit dem Tiermehl als "besser" betrachte, steht auf einem anderen Blatt. :roll:
Gruß Paddy
Benutzeravatar
troutcontrol
...
Beiträge: 3633
Registriert: 31.12.2007, 11:20
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von troutcontrol »

FoolishFarmer hat geschrieben:Ab Mitte Oktober werde ich für ca. 12 Monate den Bau einer Kaviarproduktionsanlage für knapp 30 Mio. $ in der Wüste Turkmenistans koordinieren.
Für das Geld würd ich das auch gerne koordinieren. :lol:
Spaß beiseite, mir sind diese Systeme auch bedeutend lieber als die Netzkäfige mit ihren unkontrollierbaren Auswirkungen auf die ins Meer wandernden Smolts. :+++:

Grüsse
Martin :wink:
There are no bad fly rods - only bad fly lines!

http://www.troutcontrol.de
Benutzeravatar
axel f.
.
...
Beiträge: 1533
Registriert: 16.10.2009, 22:06

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von axel f. »

Wie Du schon sagtest:Unterm Strich bleibt es Massentierhaltung!Und das wegen klinischer sterilität keine Krankheiten ausbrechen ist für mich schwer vorstellbar!Pervers wird es für mich wenn ich lese das Tiermehl aus Schwein und Geflügel (warscheinlich Knochen, Häute, Federn , Innereien, weil die Edelteile vom Schlachtvieh zu teuer sind) verfüttert wird!
Man erinnere sich nur mal an den Anfang der 90er Jahre als man Bilder von torkelnden Rindern in den Medien sah! Die wurden als Pflanzenfresser auch mit Tiermehl gefüttert und konnten das wohl nicht ganz so gut ab.Die EU wird aber wahrscheinlich gut überlegt haben wenn sie das jetzt wieder wenn auch nur bei Fischen, zulässt!
Versteh mich nicht falsch ich will Dir deine arbeit nicht madig machen, bei mir hinterlässt das aber mehr als einen bitteren Nachgeschmack,um in der von Dir gezeigten Anlage jedenfalls ,Fische nur zu züchten um ihnen wenn sie Laichreif sind die Eier zu entnehmen! Trotz allem high tech.....irgendwie :no:
Was passiert eigentlich mit den Fischen nach der Eientnahme?

Dein Job, meine meinung!
the more i understand seatrout fishing, the shorter i cast!
Benutzeravatar
Kielerkrabbe
Local
...
Beiträge: 942
Registriert: 05.12.2012, 12:31
Wohnort: Im echten Norden

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von Kielerkrabbe »

axel f. hat geschrieben:...Die EU wird aber wahrscheinlich gut überlegt haben .....
Sorry, das kann ich einfach nicht glauben, wer sollte das da gewesen sein?... :-lol: :-lol: :-lol:
...mit der Zeit wird die Zeit immer wichtiger.
dimona36

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von dimona36 »

Kielerkrabbe hat geschrieben:
axel f. hat geschrieben:...Die EU wird aber wahrscheinlich gut überlegt haben .....
Sorry, das kann ich einfach nicht glauben, wer sollte das da gewesen sein?... :-lol: :-lol: :-lol:
Und vor allem, womit???? :grin:
Benutzeravatar
axel f.
.
...
Beiträge: 1533
Registriert: 16.10.2009, 22:06

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von axel f. »

Sorry, da fehlte dieser :ironie: hinter! :grin:
the more i understand seatrout fishing, the shorter i cast!
Benutzeravatar
FoolishFarmer
... mag Fisch!
...
Beiträge: 739
Registriert: 21.02.2009, 17:29
Wohnort: Weilerswist
Kontaktdaten:

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von FoolishFarmer »

Hi Axel,

ich kann die Kritik gut nachvollziehen - und nein, madig machen lasse ich mir nichts, keine Bange! ;)

Um die Massentierhaltung kommen wir nunmal nicht drum herum - zumindest nicht so lange, wie der Eiweißkonsum der wachsenden Bevölkerung vorrangig über Fleisch und Fisch gedeckt werden soll und das Ganze am besten auch noch zum Discounterpreis! Da misch ich dann lieber an vorderster Front mit und versuche das Ganze soweit ich kann in eine aus meiner Sicht "möglichst positive Richtung zu bewegen. Aber Massentierhaltung bleibt es natürlich... sagte ich ja bereits!
Dass Du mit klinischer Sterilität die meisten Krankheiten im griff hast ist sogar relativ leicht nachvollziehbar - wo sollen sie denn herkommen? Da es keine Verbindung zu offenen Gewässersystemen gibt, gibt es auch keinen Weg für Parasiten oder Viren (weder raus noch rein). Und von alleine entstehen die bekannterweise auch nicht...

axel f. hat geschrieben:...bei mir hinterlässt das aber mehr als einen bitteren Nachgeschmack,um in der von Dir gezeigten Anlage jedenfalls ,Fische nur zu züchten um ihnen wenn sie Laichreif sind die Eier zu entnehmen!
Das kann ich allerdings nur bedingt nachvollziehen... Wofür haben wir noch gleich Hühnerfarmen?!? Und wofür halten wir Milchkühe?
Ist Dir aufgefallen wie gesund die Fische im Video alle sind? Insbesondere beim Stör ist eben interessant, dass die Haltungsbedingungen optimal sein müssen, damit die Tiere überhaupt Kaviar anlegen. Geht es denen nicht gut, gibt es auch keinen Kaviar! Das gilt für Hühner & Co leider nicht, die Skandale sind ja hinreichend bekannt...


Die laichreifen Störe werden übrigens vor der Kaviarentnahme getötet, anschließend geschlachtet und später zu einem aberwitzig hohen Marktpreis verkauft. Stör wird in den osteuropäischen und asiatischen Ländern deutlich teurer gehandelt als alle anderen Süßwasserfische (auch als z.B. Zander) und ist, die richtige Haltung vorausgesetzt, auch meiner eigenen Erfahrung äußerst schmackhaft... zumindest solange er eben nicht aus modrigen Baggerseen kommt (da schmeckt er dann eben auch wie die Karpfen dort).
Gruß Paddy
Benutzeravatar
axel f.
.
...
Beiträge: 1533
Registriert: 16.10.2009, 22:06

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von axel f. »

Ich finde Deinen Standpunkt völlig in Ordnung!

Allerdings dachte ich,gerade wo viele lebende Tiere auf engem Raum leben entstehen irgendwelche Infektionen durch ständige Ausscheidungen, Darmbakterien,Hautabschürfungen etc., trotz größtmöglicher Hygiene.

Wie du selbst geschrieben hast ist nicht der Kaviar als Luxus(lebensmittel?) das Nebenprodukt sondern der Stör.Das man ihn nach der Eientnahme noch zu aberwitzigen Preisen verkaufen kann ist dann doch nur ein äußerst angenehmer Nebeneffekt!Oder anders herum:Es geht nicht um die Eiweißversorgung der Bevölkerung sondern um einen Luxusartikel.
Wenn ich lese das Fische die mit Tiermehl gefüttert werden besser und billiger abwachsen ist das für den Betreiber sicherlich sehr erfreulich, essen möchte ich persönlich so einen Fisch nicht,vom Kaviar mal ganz abgesehen.
Darum ging es mir letztendlich.

Und respekt das du an forderster Front mitmischt und alles in eine positive Richtung bringen willst, solche Menschen brauchen wir :wink:
the more i understand seatrout fishing, the shorter i cast!
Benutzeravatar
FoolishFarmer
... mag Fisch!
...
Beiträge: 739
Registriert: 21.02.2009, 17:29
Wohnort: Weilerswist
Kontaktdaten:

Re: Störzucht in der Wüste...

Beitrag von FoolishFarmer »

Bevor wir aneinander vorbeireden - vielleicht war ich etwas unklar:
Die Tiermehlfreigabe gibt es seit Juni wieder, nachdem es nun knapp 10 Jahre lang verboten war. Davor war es übrigens gängige Praxis...
BSE gibt es heute immer noch (knapp 90.000 Fälle in Dtld. bis 2010) - interessiert sich bloß niemand mehr dafür, deshalb ist es auch nicht mehr in den Medien. Tatsächlich ist es aber auch immer noch nicht bewiesen, dass sich die Prionen durch das Tiermehl verbreitet haben - das ist bis heute nur eine Vermutung!
Natürlich macht es die Geschichte nicht viel besser... :roll:

Die Störe werden übrigens (zumindest bisher) nicht mit Tiermehlpellets gefüttert, weil die im Gegensatz zu den Lachsen ganz andere Ansprüche haben. Außerdem wird neben den Pellets ein hoher Anteil Fisch und Würmer in Form einer Paste zugefüttert... allein die richtige Fütterung ist ne Wissenschaft für sich! :o

Ganz abgesehen davon und auch nachdem ich etliche Male kosten durfte (? eher musste!) - wie kann man nur so bekloppt sein und soviel Geld für so paar Fischeier hinblättern!!! :no:



Was die Infektion durch Bakterien angeht, geb ich Dir recht. Im Gegensatz zu Parasiten und Viren sind Bakterien natürlich allgegenwertig. Bakterielle Infektionen sind daher natürlich auch in Kreislaufanlagen nicht unbekannt - die meisten Formen lassen sich jedoch sehr leicht und einfach mittels Salz in den Griff kriegen, da braucht es keinerlei Medikamente...
Gruß Paddy
Antworten